Freileitungsseil

Höchstspannungs-Freileitungen

Zur Strom­über­tragung auf der Hoch- und Höchstspannungsebene setzt man weltweit überwiegend Freileitungen ein. Frei­leitungen werden im deutschen Wechsel­strom­netz in der Höchst­spannungs­ebene seit dem Jahr 1929 eingesetzt. Das heutige Netz umfasst 35.000 km, wovon mehr als 99 Prozent mit Frei­leitungen realisiert wurden. Dement­sprechend liegen für Frei­leitungen auch die meisten Betriebs- und Lang­zeit­erfahrungen vor.

Aufgrund vergleichs­weise niedriger Investitions­kosten, schneller Erreich­bar­keit, eines robusten elektrischen Betriebs­verhaltens sowie kurzer Reparatur­zeiten im Schadens­fall haben sich Freileitungen als die gebräuch­lichste Über­tragungs­variante im kontinental­europäischen Übertragungsnetz etabliert. Die Betriebs­erfahrung mit Frei­leitungen als Übertragungs­technik beträgt mehr als 50 Jahre.

Freileitungs­seile bestehen aus Aluminium­leitern, die auf einen tragfähigen Stahl­kern (Seele) aufgebracht werden. Sowohl der Aluminium­leiter als auch der Stahl­kern bestehen im Allgemeinen aus gewundenen Einzel­drähten.

Frei­leitungen verfügen über eine hohe Übertragungs­leistung. Zudem sind die Leiterseile von Luft umgeben. Die Wärme, die durch den Stromfluss im Leiter entsteht, kann daher leicht abgegeben werden. Die Kühlung durch die um­gebende Luft ermöglicht es beispiels­weise im Winter, wenn der Strom­verbrauch sehr hoch ist, Frei­leitungen stärker zu belasten.

Allgemeine Anforderungen, die es bei der Planung und Errichtung neuer Frei­leitungen einzuhalten gilt, werden durch die DIN EN 50341 / VDE 0210 (2013) festgelegt. Dadurch werden unter anderem die Personen­sicher­heit und der Betrieb einer Frei­leitung gewähr­leistet sowie Aspekte wie Umwelt­fragen und die Instand­haltung einer Frei­leitung berück­sichtigt.

Bauphase

Vor Beginn der Bauphase wird üblicherweise auf der gesamten Trassen­länge die volle Schutzstreifenbreite von hohem Bewuchs (Bäume oder Sträucher) befreit. Außerdem müssen für die Mast­gründungen im Vorfeld Erd­arbeiten vor­genommen werden, deren Umfang mit der Gründung­sart variiert. Die in Abhängigkeit des vorherr­schenden Boden­profils in Frage kommenden Fundamente sind Bohr­fundamente, Ramm­pfahl­gründungen oder vor Ort aus Fertig­beton gegossene Stufen­fundamente sowie (in Sonder­fällen) Platten­fundamente. Für die Fundamente ist in der Regel eine Aushub­tiefe von drei bis vier Meter notwendig. Teilweise sind hierfür Wasser­haltungen mit Einleitung des anfallenden Wassers in Ober­flächen­gewässer oder Versickerung erforder­lich. Für die Erd­arbeiten müssen die Mast­standorte von Last­wagen angefahren werden. Bei den Zufahrten ist es notwendig, teilweise temporäre Baustraßen anzulegen. Zum Errichten von Frei­leitungs­masten ist eine Arbeits­fläche von mindestens 40 m * 40 m eingeplant, um die einzelnen Bauteile vorzu­montieren und mit Hilfe eines Auto­krans aufzustellen. In unzugängliche Gebiete erfolgt der Transport teil­weise mit dem Hub­schrauber. Während der Bauphase sind Bau­stellen­einrichtungs­flächen insbesondere für die Material­lagerung erforder­lich. Es kommt durch den Bau­stellen­betrieb zu Geräusch-und Abgas­emissionen.

Zur Aufhängung der Leiter- und Erdseile wird an den errichteten Masten ein Führungs­seil mittels Kran aufgehängt, über welches die weiteren Seile ein­gezogen werden. Für die Trommel der Leiter- und Erdseile sind geeignete Abspul­standorte erforderlich. Ein Transport entlang der Trasse ist dadurch aber nicht notwendig. Für den Seilzug werden Flächen zwischen den Mast­standorten als Fahrspur und für die Stell­plätze der Winden in Anspruch genommen.

Bei der Anwendung höherer Spannungen (zum Beispiel ± 500 kV) ist es erforder­lich, die Sicherheits­abstände der Leiter zueinander, zur Gelände­oberfläche und zum Mast zu erhöhen, um Über­schläge auszuschließen. In diesem Fall kommt es bei Höchstspannungs-Gleichstrom-Freileitungen zu einer höheren Mast­auslegung als bei Frei­leitungen im Wechsel­strom­bereich. Im Gegensatz zu letzterem können bei Höchst­spannungs-Gleichstrom-Frei­leitungen auch bipolare Systeme mit nur zwei Leitern ohne Neutral­leiter verwendet werden. Bau­bedingt kann sich dabei eine geringere Trassen­breite ergeben, die mit entsprechend reduzierten Bauarbeiten und weniger Nutzungs­einschränkungen im Bereich der Schutzgüter einhergeht. Außerdem ist zusätz­lich auf die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt durch die not­wendigen Nebenanlagen hinzuweisen.

Anlage

Die Anlage von Frei­leitungen besteht im Wesent­lichen aus Masten, deren Gründungen (Fundamente), Leiter- und Erdseilen sowie weiteren Leitungs­teilen. Die in Deutsch­land für Höchstspannungsübertragung verwendeten Masten haben je nach Bauart eine übliche Höhe von etwa 40 m (Ein­ebenen­mast) bis etwa 61 m (Tonnen­mast). Die übliche Höhe des weithin verbreiteten Donau­mastes beträgt etwa 54 m. Bei größeren Abständen werden aufgrund des größeren Durch­hangs höhere Masten eingesetzt. Bei der Elbekreuzung bei Stade sind die Masten zum Beispiel bis zu etwa 227 m hoch. Die Traversen haben je nach Bauart eine Breite von etwa 23 m (Tonnen­mast) bis etwa 45 m (Ein­ebenen­mast); bei einem Donau­mast sind es etwa 32 m. Die Mindest­abstände von Frei­leitungs­seilen zum Boden und Objekten sind haupt­sächlich von der Spannung abhängig. Bei 380 kV beträgt der Abstand 7,80 m.

Zum Schutz der Leitungen ist ein Schutzstreifen von etwa 80 m Breite erforder­lich, in dem sich weder hoher Bewuchs noch größere Bauten befinden dürfen. In Hinsicht auf mögliche Barriere­effekte für Klein­tiere und Land­schafts­bild­veränderungen wird jedoch empfohlen, dass die Trasse nicht einheitlich maximal breit ist und der Bewuchs auf Höhe des Mastes, unabhängig vom Mast­typ, weiter in die Schneise hineinragen kann, da die Leiterseile hier nicht ausschwenken können. Die üblichen Abstände zwischen den Masten betragen 300 bis 400 m, teilweise bis etwa 700 m. Mit Spezial­masten können aber auch wesentlich größere Spann­feldweiten, etwa zu Über­querung großer Gewässer, erreicht werden.

In der Regel kommen Stahl­gitter- beziehungs­weise Stahl­fach­werk-Mast­konstruktionen zum Einsatz. An Trag- und Abspann­masten werden unterschied­liche statische Anforderungen gestellt, je nachdem, welche Funktion sie haben. Abspann­masten müssen stabiler gebaut werden, um die Zugkräfte der Leiter­seile bei Richtungs­änderung der Leitungs­führung auf­nehmen zu können. Neue Mast­typen werden aktuell im Rahmen von Pilot­projekten erprobt. Insbesondere durch den Einsatz neuer Auf­hängungs­systeme sollen geringere Trassen­breiten erzielt werden. Mittels Zwischen­abhängungen soll der Leiter­seil­durchhang verkleinert werden, wodurch auch eine niedrigere Mast­höhe möglich ist.

Als Blitz­schutz sowie zum Ableiten von elektrischen Strömen in das Erdreich (Potenzial­ausgleich) dienen in der Regel sogenannte Erdseile, die oberhalb der Leiter­seile angebracht werden. Die Erdseile werden mit den Masten leitend verbunden, diese wiederum über Erdungen mit dem Boden. Als spannungs­führende Leiter werden typischer­weise Aluminium-Stahl-Seile benutzt. Die elektrischen und mechanischen Eigen­schaften blanker elektrischer Leiter aus konzentrisch verseilten runden Drähten beschreibt DIN EN 50182. Um die Leiter­seile an der Aufhängung zu isolieren, werden Porzellan- oder glas­faser­verstärkte Kunst­stoff­konstruktionen verwendet. Zwischen den Leiter­seilen wirkt die Luft als Isolator. Üblicher­weise werden zwischen zwei und vier Strom­kreise (aus je drei Phasen bestehende Übertragungs­systeme) pro Trasse ein­gesetzt. Häufig werden auch Strom­kreise niedrigerer Spannungs­ebenen in den Trassen mitgeführt.

Die zu erwartende technische Lebens­dauer der Leiter­seile und Isolatoren beträgt etwa 40 Jahre. Die Stahl­gitter­masten können bei regel­mäßiger Wartung (Über­prüfung und gegebenen­falls Nach­besserung des Korrosions­schutzes alle 25 bis 30 Jahre) etwa 80 Jahre lang benutzt werden. Zum Korrosions­schutz werden bei den Masten zunehmend Zink­anstriche verwendet, früher waren es auch blei­haltige Anstriche.

Im Rahmen von Pilot­vorhaben ist für Wechselstrom-Freileitungen aktuell der Einsatz von Hochtemperaturseilen geplant, die auf betriebliche Belastungs­spitzen im Netz ausgelegt sind. Für Hoch­temperatur­leiter werden spezielle Materialien verwendet, so dass höhere Leiter­temperaturen möglich sind. Dadurch ergibt sich prinzipiell eine höhere Strom­belast­bar­keit des Leiters. Wird darüber hinaus auch ein anderes Kern­material als Stahl eingesetzt, kann auch der Durch­hang im Vergleich zu Standard­leitern reduziert werden. Prinzipiell können Hoch­temperatur­leiter dort verwendet werden, wo angrenzende Betriebs­mittel (beispiels­weise weitere Frei­leitungen) die höheren Ströme aufnehmen können, ohne die Netz­stabilität zu gefährden.

Betriebsphase

Leiterseile von Freileitungen erreichen im Normalbetrieb bei Dauerlast eine Temperatur von 70 bis 80 °C, bei Hochtemperatur­leiterseilen bis zu 210 °C.

Die gesamte Trasse der Frei­leitung wird regel­mäßig per Hub­schrauber oder Begehung auf Beschädigungen überprüft. Auch die Masten werden turnus­mäßig kontrolliert und gewartet. Dabei entstehen Lärm- und Abgasemissionen. Ferner sind regel­mäßig Pflege­schnitte an der Vegetation notwendig, um hohen Bewuchs zu vermeiden. Dabei kommt es unter anderem zu Zu- und Abfahrts­verkehr, Lärm, Lebens­raum­verlust und somit auch zu Störungen der Fauna. Deren Umfang ist aber deutlich geringer als beim Bau einer Leitung.

Beim Betrieb von Wechselstrom-Übertragung entstehen nieder­frequente elektrische und magnetische Felder (EMF). An den Leiterseilen treten in Abhängigkeit von der Luft­feuchtig­keit durch stoß­weise Ionisierung von Luft­molekülen sogenannte Korona-Geräusche (Knistern, Surren und Brummen) durch elektrische Entladungen auf. Die durch Korona­entladung verursachten Geräusche entstehen durch hohe Feld­stärken an den Leiter­ober­flächen und hängen von der Betriebs­spannung, der Leiter­geometrie, dem Leiter­zustand und der Witterung ab. Besonders feuchte Witterungs­bedingungen wie Nebel oder Rau­reif verstärken die Effekte.

Im Gegen­satz dazu entstehen im Betrieb bei der Gleichstrom-Übertragung statische elektrische und magnetische Gleich­felder anstelle von Wechsel­feldern. Die Strom­wärme­verluste sind geringer als beim Wechsel­strom, da kein Blindleistungsbedarf besteht. Außerdem sind die Verluste durch Korona­entladungen wesentlich geringer als bei gleich hohen Wechsel­spannungen. Allerdings neutralisieren sich die ionisierten Partikel nicht in gleichem Maße. Die durch Korona­entladung entstandenen Luft­ionen besitzen dieselbe Polarität wie der Leiter: ein positiver Leiter bewirkt positiv geladene Luft­partikel, ein negativ geladener Leiter negativ geladene Luft­ionen. Da sich die Polarität beim Gleich­strom im Gegen­satz zum Wechsel­strom nicht ändert, werden beim Gleich­strom Luft­ionen nicht schon am Entstehungs­ort neutralisiert, sondern erst durch möglichen Drift zum anderen Leiter.

Stand: 27.10.2020

Quellennachweis für die hier zur Freileitung gemachten Ausführungen

Deutsche Energie-Agentur GmbH (2012): Übersicht Strom­über­tragungs­technologien auf Höchst­spannungs­ebene. Berlin.

Deutsche Energie-Agentur GmbH (2014): Technologie­über­sicht - Das deutsche Höchst­spannungs­netz: Techno­logien und Rahmen­bedingungen. Berlin.

DIN EN 50182 (2001): Leiter für Frei­leitungen - Leiter aus konzentrisch verseilten runden Drähten. Beuth Verlag. Berlin.

DIN EN 50341/ VDE 0210 (2013): Frei­leitungen über AC 1 kV. Beuth Verlag. Berlin.

Hofmann, L., Mohrmann, M., Rathke, M. (2012): Ökologische Auswirkungen von 380-kV-Erd­leitungen und HGÜ-Erd­leitungen. Bericht der Arbeits­gruppe Technik/Ökonomie. Auftrag­geber: Bundes­ministerium für Umwelt, Natur­schutz und Reaktor­sicherheit (BMU). E. Cuvillier Verlag. 1. Auf­lage.

Fach­stellung­nahme im Auftrag der Bundes­netz­agentur (2012):